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30… Dreißig… D-R-E-I-ß-I-G. Wie konnte das so schnell passieren? Dabei bin ich gefühlt gestern doch erst 21 geworden! Wenn mir jetzt noch einer meiner Facebook-Freunde diese dusseligen Sprüche a lá „die 2 und die 9 sind weg, vorbei die Jugend, ach du Schreck“an die Pinnwand schreibt, wird dieser Clown postwendend entfernt und ich brauche einen Gin Tonic. Einen starken Gin Tonic. Mit viel Gin – ohne Tonic.

Solche runden Geburtstage sind ja meistens dazu da, um das eigene Leben noch einmal eingehend zu betrachten. Wenn ich mein bisheriges Leben so Revue passieren lasse, so muss ich sagen, dass ich (fast) alles genauso machen würde. Vielleicht würde ich rückwirkend betrachtet ein paar mehr Fehler machen. Mehr Bad Boys daten, mehr rebellieren, etwas unvernünftiger sein.

Wenn ich mich mit meinen psychologischen Hobby-Kenntnissen durchleuchten würde, müsste ich wohl zugeben, dass ich insgesamt zu emotional bin. Ich überanalysiere Dinge. Mache mir zu viele Gedanken, zu viele Sorgen, habe zu viele Kopfkinos. Ich verbringe Stunden damit, Dinge, die ich gesagt habe, zu hinterfragen. Überlege mir, was ich hätte sagen sollen. Und frage mich, was ich noch sagen könnte. In meinem Kopf ist immer Alarm. Das kann auf Dauer ziemlich anstrengend sein. Ich dachte, das ändert sich, wenn man älter wird. Dass man bestimmte Dinge ablegt. Aber es ist wohl nur so, dass man einige Charakterzüge im Alter einfach besser reflektieren kann.

Die Sache mit der Liste

Ich habe vor langer Zeit mal eine Liste geschrieben, was ich alles gemacht und erreicht haben möchte, bis ich 30 bin. Einige Dinge konnte ich auch schon abhaken, deren Auszug hier kurz erwähnt werden darf:

Von amerikanischen Grenzpolizisten zwei Stunden lang verhört werden, weil sie mich für einen illegalen Einwanderer halten – check. Nachts nackt baden gehen – check. Aufrichtig und bedingungslos lieben – check. Studium erfolgreich abschließen – check. Nächte durchmachen und danach zur Uni oder Arbeit – check. Im Zelt schlafen bei Gewitter und den Sternenhimmel betrachten – check. Mir mal so richtig das Herz brechen lassen – check. Existenzphilosophische Bücher lesen – check. Neue Sprachen lernen – check. Mich ehrenamtlich engagieren – check. Wegfahren ohne genauen Plan und Ziel – check. Mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sein – check. Jemanden daten, der mindestens 10 Jahre älter ist – check. Eigene Songs schreiben und vor mehr als 2 Leuten singen– check. Möglichst viele Fehler machen und aus ihnen lernen – noch dabei.

So, das wäre also die Haben-Seite. Es gibt aber ebenfalls einige Dinge, die noch offen sind und die hier ebenfalls kurz angerissen werden dürfen:

Aus dem Flugzeug oder von einer Brücke springen; mich darum kümmern, wovon ich mal lebe, wenn ich alt bin (habt ihr euch mal die Gespräche der heutigen Schulkinder angehört? Also still und heimlich hab ich mich bereits von meiner Rente verabschiedet); meinem eigenen zukünftigen Ich einen Brief schreiben, den ich erst in zehn Jahren öffnen darf; ein Buch schreiben; einen richtigen Roadtrip machen; einen Baum pflanzen; mehr Open Air-Konzerte besuchen; mehr Weltliteratur lesen; Meditieren/ Yoga (ich bin der ungeduldigste Mensch der Welt); mehr Nachrichten lesen (echte Nachrichten. Nicht, ob Kay One schon wieder Ärger mit XY hat); einen Hund haben; lernen, Gitarre zu spielen; einen Halbmarathon laufen; mir mehr Zeit für mich nehmen; beruflich meinen Traum verwirklichen; endlich lernen „Nein“ zu sagen.

16 Tage habe ich noch. Schaffe ich nie. Aber das ist ok. Nehme ich mir die letzten Dinge der Liste eben für meine 30-er vor. Alles in Allem macht mir die 30 auch eigentlich nichts aus. Das einzige, was mir etwas Sorgen bereitet, ist, dass ich merke, dass das Alter so langsam an mir nagt.

„Sie haben da ein paar Falten.“ – „Lachfältchen! Das sind LACHFÄLTCHEN!“

Bei Douglas sagte mir die nette Fachverkäuferin letztens, dass man mit der Anti-Aging-Augenpflege so mit 25 Jahren anfangen müsse, um langfristige Ergebnisse zu erzielen. Klasse. Darf ich also erstmal fünf Jahre nachcremen. Hab mich bisher nämlich noch nicht um Anti-Aging-Pflege für’s Gesicht gekümmert. Das hole ich ja nie wieder auf. Fängt ja gut an.

Dass ich älter geworden bin, merke ich auch daran, dass ich vieles nicht mehr so gut vertrage. Früher, als ich noch jung und knackig war, habe ich viele Dinge irgendwie leichter aushalten können. Die Hitze zum Beispiel. Da bin ich wie ein junges Reh im Bikini durch den Garten gesprungen und habe mich stundenlang in der prallen Hitze gesonnt. Und jetzt? In meinem Alter kann ich die Hitze nicht mehr ganz so gut wegstecken. Ich bin dann schnell ausgelaugt, abgespannt und müde. Sitze mit einem Sonnenhut im Schatten in der Ecke, habe Sonnenschutz mit Lichtschutzfaktor 50 aufgelegt, benutze einen kleinen Handventilator und warte darauf, dass der Tag endlich vorbeigeht. Irgendwelche Aktivitäten mit mir kann man an solchen Tagen also knicken. Bei so einem Klima ist es ja auch besonders wichtig, viel zu trinken – zudem sollte man zusätzlich Obst essen und Salz zu sich nehmen. So ’n Tequila ist ja dann optimal.

Mann, Haus, Kind…?!

Früher habe ich gedacht, dass ich mit 30 Jahren irgendwie weiter wäre. Haus, Hof, Kind… Ach, und der Mann natürlich. Ich habe weder ein Haus (also, ich wohne in einem – gehört mir aber nicht), weder einen Hof (einen Hinterhof, in dem fremde Kinder spielen), zudem weder Kind noch Mann. Läuft bei mir. Nicht. Dafür habe ich aber schon viel von der Welt gesehen. Hab ein paar Jahre im Ausland gelebt, öfter mal die Stadt gewechselt und bin einfach meinem Herzen gefolgt. Das soll jetzt aber nicht bedeutet, dass Mann, Kind und Haus das „Game over“-Kriterium für Reisen/ Auslandsaufenthalte wären, aber es gestaltet sich mit ihnen sicherlich schwieriger, alles unter einen Hut zu bekommen.

Ich möchte jetzt aber gar nicht mißverstanden werden: Ich will das auch alles. Aber eben nicht mit dem erstbesten dahergelaufenen Trottel. Wer jetzt denkt, „wieder so ’ne blöde Kuh mit zu hohen Ansprüchen“ – dem muss ich widersprechen. Ich möchte einfach eine auf Humor, Vertrauen und gegenseitigem Respekt beruhende Beziehung. Und ich kenne leider zu viele Beispiele, in denen sich die Partner gegenseitig belügen und betrügen. Das ist nichts für mich. Ich kann auch ganz schlecht lügen. Und ich hab viel zu schnell ein viel zu großes schlechtes Gewissen.

Irgendwie scheint es für mich einfach grade noch nicht greifbar. Und es bringt ja auch nichts, bestimmte Dinge, die man sich erträumt, zu erzwingen. Davon halte ich nichts. Ich kenne auch ein paar Frauen, die nur mit Männern zusammen sind, weil sie nicht alleine sein können. Da bin ich ehrlich gesagt lieber alleine. Genieße mein Leben und lass mich einfach von meinen Gefühlen leiten (ab und zu frag ich auch vorsichtshalber mal den Kopf. Oder meine Freunde).

Perfekter Job, perfekter Körper, perfekte Beziehung

Als ich so 18/19 Jahre alt war, hab ich immer gedacht, mit 30 würde man sicherlich total Bescheid wissen. Mitten im Leben stehen. Quasi fertig sein mit der Entwicklung. Jetzt weiß ich: es ist überhaupt nicht so. Ich frage immer noch kleine Kinder, was sie mal werden wollen, wenn sie groß sind, um mir selber Anregungen zu holen.

Ich bin alles andere als fertig oder perfekt. Aber ich will auch gar nicht perfekt sein. Ich bin manchmal (oder öfter – kommt drauf an, wer gefragt wird) trottelig und ein kleiner Teilzeitchaot. Daran wird auch die 30 nichts ändern. Ich gehe ungeschminkt im Jogger mit Ketchupfleck in den Supermarkt, um in der „Game of thrones“-Pause noch eben schnell ’ne neue Flasche Wein und Schokobons zu holen. Ich seh echt manchmal echt aus wie der letzte Penner, wenn ich aus dem Haus gehe. Meine Mutter sagte vor ein paar Wochen zu mir: „Du siehst heute auch wieder aus wie ein kleiner Clochard.“ Da dachte ich noch bei mir, „oh, das klingt ja nett, so frankophil heut die Gute“. Bis ich gegoogelt und rausgefunden habe, dass Clochard für Stadtstreicher und Obdachloser steht. Frechheit.

Aber es ist doch so: es ist vollkommen ok, nicht perfekt zu sein. Wär‘ ja auch ziemlich egoistisch von mir, wenn ich zu ’nem bombigen Charakter jetzt auch noch den perfekten Strandkörper hätte.

Man wächst an seinen Aufgaben

Es ist einfach so: In den letzten 30 Jahren habe ich gelernt, mich auf mich selbst zu verlassen. Ich habe gelernt, mir zu vertrauen. Mich nicht darum kümmern, was andere von mir denken oder hinter meinem Rücken reden. Denn: Wenn sie es hinter meinem Rücken tun, haben sie es sowieso nicht verdient, dass ich mich mit ihnen auseinandersetze. Diese Menschen finden auf wundersame Art und Weise wie von selbst den Ausgang aus meinem Leben. Ich habe gelernt, worauf es für mich im Leben ankommt. Wofür es sich zu kämpfen lohnt und wo es besser ist, einen Schlussstrich zu ziehen.

Auch, wenn man beim magischen Wechsel von einem Jahrzehnt zum nächsten bestimmt einige der eigenen Lebensweisen hinterfragt, darf man nicht vergessen, was man bereits alles erreicht und geschafft hat. 
Wenn man über sein bisheriges Leben nachdenkt, ist es aber leider bei uns Menschen oftmals so, dass wir immer erstmal darüber jammern, was uns alles fehlt. Was andere Menschen mehr haben, mehr wissen, mehr können. Warum können wir nicht einfach mal wirklich dankbar darüber sein, was wir bereits alles haben?

Am Ende des Tages kommt es auf die Menschen an, die man im Herzen trägt

Ich liebe meine Familie. Sie und meine Freunde bedeuten mir alles auf der Welt. Wenn ich abends mal total genervt nach Hause komme, mich die Arbeit stresst und mir die Männer den letzten Nerv rauben, sind es eben diese Menschen, die mich sofort wieder auffangen. 
Wenn mich meine Mitbewohnerin mit einer Flasche Wein zu Hause empfängt, wir über Gott und die Welt sprechen und dabei total die Zeit vergessen, wird mir immer wieder bewusst, dass es diese Momente sind, die das Leben ausmachen. Dass es diese bestimmten Augenblicke sind, die das Leben auf irgendeine Art und Weise vollkommen machen.

Es gibt da draußen Menschen, die dich lieben. Die dich aufrichtig und bedingungslos lieben. Ich habe großes Glück, dass ich ein paar meiner wichtigsten Freunde schon aus der Krabbelgruppe kenne. Eine Handvoll guter Freunde ist im Laufe meines bisherigen Lebens noch dazugekommen. Für sie würde ich alles tun (also alles, was im gesetzlichen Rahmen bleibt und erlaubt ist). Zudem habe ich eine Familie, die immer für mich da ist und auf die ich mich zu 100% verlassen kann. Meine Eltern sind nicht nur meine Eltern, sondern auch meine besten Freunde (auch, wenn sie manchmal komische Ansichten zum Thema Ordnung haben und wir uns jedes Mal darüber streiten, wenn ich sie zu Hause besuche, wo ich meine Sachen abstellen „darf“). 
Aber sie haben mich gelehrt, das Leben mit Humor zu nehmen. Dass es im Leben darauf ankommt, zusammenzuhalten. Wenn sie mich in Berlin besuchen, wir in einer Kneipe sitzen, über alles mögliche miteinander reden und lachen können und Papa mich mit Ouzo unter den Tisch trinkt, weiß ich, dass ich ganz großes Glück gehabt habe.

Alles in allem müssen wir vielleicht einfach darauf vertrauen, dass alles gut werden wird. Der eine Tag, der alles im Leben verändern kann, beginnt schließlich jeden Tag neu. Vielleicht brauchen gute Dinge einfach Zeit, sich zu entwickeln. Und dabei ist es dann doch vollkommen egal, ob du 19, 26, 29, 45 oder 32 bist. Vielleicht müssen wir einfach darauf vertrauen, dass wir, wenn wir uns bemühen, gute Menschen zu sein, gute Dinge ihren Weg zu uns finden. Vielleicht müssen wir einfach versuchen, geduldig zu sein.

Und solange ihr noch auf der Suche seid: geht raus. Geht da jetzt raus und lebt euer Leben. Das wird nämlich niemand anderes für euch übernehmen. Macht Fehler. Liebt. Streitet. Diskutiert. Und lasst euer Wohlbefinden niemals von einer Zahl abhängig machen. Weder von der Anzahl der Kerzen auf dem Kuchen noch von der Konfektionsgröße in eurer Jeans.

Geht da jetzt raus und zeigt allen da draußen, dass das Leben trotz aller Höhen und Tiefen wundervoll ist.

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