Kaum einer Muskelgruppe wurde in den letzten Jahren so viel öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wie dem Beckenboden. Experten raten, ihn zu kräftigen, damit wir besser gehen können, besser atmen, mehr Lust empfinden und insgesamt leistungsfähiger sind – denn der Beckenboden ist eine Art Power-Zentrum unseres Körpers. MEINE VITALITÄT und Fußexperte Carsten Stark erklären Ihnen das faszinierende System Beckenboden genauer und wie das Zusammenspiel von Fuß-, Beinmuskulatur und Beckenboden funktioniert.
„Spannt euren Beckenboden an!“ ruft die Trainerin in den Kursraum. Ich spanne Muskeln an, von denen ich meine, dass sie mein Beckenboden sind und merke, wie ich gleichzeitig die Luft anhalte. Gar nicht so leicht, das mit dem Anspannen – obwohl ich nach drei Geburten eigentlich doch fit sein müsste in Sachen Beckenbodentraining.
Aber der Beckenboden ist ein sehr komplexes System – trotz Aufklärungsarbeit der letzten Jahre umgibt ihn immer noch der Nebel eines Mysteriums.
Vielleicht, weil er im Verborgenen liegt. Vielleicht, weil er unsere intimste Stelle markiert, die sich zwar sachlich und medizinisch so ganz klar benennen lässt, trotzdem aber eine sehr persönliche Angelegenheit für jede Frau und jeden Mann ist.
Vernachlässigen wir ihn, kann das weitreichende Folgen haben. Von Haltungsschwächen über Rückenprobleme bis hin zur Inkontinenz oder zum Gebährmuttervorfall.
Aufbau des Beckenbodens
Unser Beckenboden besteht aus einer komplexen Gruppe von Strukturen – einem muskulären Fülltrichter, umgeben von Bindegewebsstrukturen, den faszialen Platten, gehalten von den Bändern, den Ligamenten. Er ist die Verbindung zwischen den Beinen und dem Oberkörper, eine Art Kraftübertragungsbrücke, eine Kommandozentrale, ein Auffangbecken. Ihn isoliert zu betrachten oder zu trainieren macht wenig Sinn, denn er ist wichtiges Bindeglied in einem organischen Gesamtkomplex und nimmt damit nicht nur Einfluss auf andere Körperregionen und Organe, sondern wird umgekehrt auch von ihnen beeinflusst.
Schlüsselrolle spielen in diesem Zusammenhang unsere Füße und Beine. Sie müssen sich das wie eine Kette vorstellen. Jedes Glied greift in das nächste und somit beeinflusst allein schon die Art, wie Sie stehen, die Haltung des Beckens und damit auch den Beckenboden.
Der Münchner Fußexperte Carsten Stark formuliert es fachgerecht so: „Die anatomischen Zuglinien aus den Beinen gehen tief in die äußeren Rotatoren der Hüfte ein und beeinflussen dadurch die Bewegung des Beckens in drei Hauptrichtungen:
- nach oben und unten
- vorne hinten
- zur Seite links/rechts
Ein Mangel an einer dieser Bewegungen führt üblicherweise kompensatorisch zu einer verstärkten Bewegung in eine oder mehrere der anderen möglichen Richtungen.
Das bedeutet – ist die Beckenbewegung in eine Richtung eingeschränkt, gleichen wir sie über eine andere Richtung aus, was automatisch zu einer Fehlbelastung führt, die dann den Beckenboden mit einschließt.
Die Füße bilden das Ende oder den Anfang dieser Muskelkette. Stehen die Füße schief, so müssen daraus zwangsläufig einseitige Belastungssituationen folgen. Es lohnt sich also auf jeden Fall, bei Beckenbodenproblemen als eine der ersten Maßnahmen an die Füße zu denken. Diese sind sehr oft Ausgangspunkt für Disbalancen der Beinmuskulatur , die wiederum unsere Körperhaltung und Aufrichtung bestimmen und somit großen Einfluss auf das Becken nehmen.
Fußtraining = Beckenbodentraining?
Carsten Stark hat mit seiner Fuß-Scan-Methode schon tausende Fußbilder analysiert und kommt zu dem Schluss: „Menschen mit einer ausgewogenen Fußstellung und einer guten Fußvitalität haben selten Probleme mit dem Becken, der Hüfte und dem Beckenboden.
Andersherum lässt das den Schluss zu, dass durch ein gezieltes, auf den jeweiligen Fuß abgestimmtes Fußtraining die Grundlage für harmonisch arbeitende Muskel-Zuglinien geschaffen werden kann und damit das Becken nachhaltig stabilisiert und gleichzeitig beweglich hält.
Den Vorschlag, das Tragen hoher Schuhe als Beckenbodentraining zu nutzen, findet Stark eher ungeeignet.
„Sicher verändert sich durch die hohen Absätze die Beckenkippung. Der Po kommt raus, es entsteht ein Hohlkreuz und der Beckenboden wird in eine Richtung gedrückt. Ein gutes Training – allerdings nur dann, wenn es temporär eingesetzt wird, nicht aber dauerhaft, da die Drei-Richtungs-Qualtität der Beckenbewegung verloren geht und es zu einer anhaltenden Verkürzung der Achillessehne kommen kann.
Sinnvoller für ein Beckenbodentraining von den Füßen her ist das Tragen sogenannter MBT-Schuhe, die durch ihre Spezialsohle für eine gewisse Instabilität beim Gehen und Laufen sorgen, so dass die Muskulatur gezwungen ist, auszugleichen, zu halten und zu stützen. Das trägt auf jeden Fall zur Aktivierung vieler Muskelgruppen bei, die wir sonst im Alltag eher weniger benutzen.
Mit Fußtraining Inkontinenz und Operationen der Gebärmutter vermeiden
Zunächst muss natürlich abgeklärt werden, wo die Ursachen für die Inkontinenz oder den Gebährmuttervorfall liegen. Denn nicht immer lassen sich diese im muskulären Bereich finden.
Unsere Psyche (Ängste), Geburten, einseitige Ernährung, Unfälle, aber auch Bakterienbefall kommen ebenfalls als Ursachen in Betracht.
Fakt ist jedoch, so Carsten Stark: „dass erfahrungsgemäß Gebärmuttervorfälle und Inkontinenz nicht selten starken einseitigen muskulären Zuglinien ausgesetzt sind, so dass an anderer Stelle „schwache“ Gewebestrukturen zum Beispiel einen Vorfall begünstigen bzw. ermöglichen oder auch die Blase als „Muskel“ mit seinen Schließfunktionen beeinflussen.
Aber selbst wenn ein bakterieller Befall als Auslöser für eine Inkontinenz diagnostiziert wird, kann man über die Füße eine Zustandsverbesserung erreichen. Denn die gezielte Reizung der Fußsohle durch ein spezielles Lauftraining auf mineralischen Steinen oder Spezial-Nadel-Kissen sorgt für eine Stärkung des Immunsystems, so dass der Körper wieder selbst in die Lage versetzt wird, das Bakterien-Milieu stabil zu halten und so gesund zu bleiben.
FAZIT: Beckenbodentraining ist wichtig und richtig. Allerdings reicht es nicht, dieses Training ausschließlich auf den Beckenboden zu begrenzen. Um der Gesamtheit und der Komplexität unseres Körpers gerecht zu werden, lohnt es sich, den Blick für die weitreichenden Zusammenhänge zu öffnen. Kein Beckenbodentraining der Welt nützt etwas, wenn wir die Tatsache, dass wir einen Spreiz- oder Senkfuß haben, außer Acht lassen. Unsere Aufrichtung beginnt von den Füßen her – insofern macht es Sinn, ihnen, auch wenn es eigentlich um die Stabilisierung des Beckenbodens geht, die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.