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Hektik, Überstunden, Leistungsdruck – unser Alltag ist oft sehr stressig. Selbst nach Feierabend kommen viele Menschen nicht zur Ruhe. Aber: Erholung können Sie trainieren. MEINE VITALITÄT stellt Ihnen die Progressive Relaxation vor – eine gute Methode, um neue Energie zu schöpfen.

Wenn der Sitznachbar im Zug plötzlich die Hemdsärmel hochkrempelt und die Hand zur Faust ballt, kann das zwei Gründe haben. Erstens: Er ist gerade mächtig sauer. Zweitens: Er befindet sich auf Entspannungskurs. Geballte Fäuste? Sieht so Entspannung aus? Ja – wenn der Nachbar für seine Verschnaufpause die Progressive Relaxation (PR) nutzt, ein an der Muskulatur ansetzendes Entspannungsverfahren. In diesem Fall wird er die Faust nach ein paar Sekunden wieder lösen und sich anschließend die andere Hand vornehmen.

Die PR funktioniert nach einfachem Prinzip: Eine Muskelgruppe wird angespannt und kurz darauf entspannt. Den Effekt, der dabei entsteht, kennt man vom Schleppen schwerer Einkaufstüten. Sobald man sie abstellt, scheinen die Arme nach oben zu schweben. Dieses angenehme Gefühl nutzt die PR systematisch aus.

Der Wechsel zwischen Anspannung und Lockerung wird nach und nach an verschiedenen Muskelgruppen im Körper wiederholt. Der Trick ist, sich total auf die Bewegung und die dadurch ausgelösten Empfindungen zu konzentrieren. Die muskuläre Entspannung überträgt sich so auch auf das Herzkreislauf- und Nervensystem. Positive Folgen sind innere Ruhe, Spannungsabbau und Stressreduktion. PR wird in der Schmerztherapie, zum Beispiel bei Migräne oder Rückenschmerzen, eingesetzt und in der Therapie von Bluthochdruck, Magenproblemen sowie Schlaf- und Angststörungen.

Entspannungstechnik für den Alltag

„Progressive Relaxation ist eine wunderbare Entspannungstechnik für den Alltag. Man lernt, Dinge zu- und loszulassen und wird so insgesamt gelassener“, sagt Doktor Dietmar Ohm, Vorsitzender der Fachgruppe Entspannungsverfahren im Berufsverband Deutscher Psychologen. Der Experte lobt insbesondere den präventiven Charakter der Methode: „Verspannungen, die zum Beispiel Rücken- oder Kopfschmerzen verursachen, werden mithilfe der PR erspürt und gelöst.“ Je länger man PR betreibt, desto tiefer reicht die Entspannung. Daher rührt das „progressiv“ im Namen der Methode.

„Das Verfahren eignet sich vor allem für Menschen, die nach einer pragmatischen Entspannungstechnik suchen. Beim Autogenen Training arbeitet man zum Beispiel sehr stark mit imaginierten Bildern – viele Leute können damit nichts anfangen. Bei der PR hingegen beobachtet man Prozesse, die tatsächlich ablaufen“, erklärt Ohm. Die Progressive Relaxation umfasst 16 Muskelgruppen. Dazu gehören unter anderem Hände, Arme, Nacken, Stirn, Brust, Schultern und Rücken.

Jede Übung lässt sich in fünf Phasen einteilen. Erstens: hinspüren. Der Übende konzentriert sich auf die Muskelgruppe, die er gleich bewegen wird. Zweitens: anspannen. Die Spannung soll deutlich spürbar sein, aber nicht in Verkrampfung übergehen. Drittens: Spannung halten für circa sieben bis zehn Sekunden, die Aufmerksamkeit bleibt auf die Muskelgruppe fixiert. Viertens: loslassen und Muskeln lockern. Fünftens: nachspüren. Der Übende bleibt mit seiner Aufmerksamkeit etwa 30 Sekunden in der betreffenden Muskelgruppe, um sie intensiv wahrzunehmen.

Es geht um den Moment

Was für jedes Entspannungstraining zutrifft, gilt auch hier: Der Weg ist das Ziel. Wer auf einen unmittelbaren Entspannungserfolg aus ist, wird enttäuscht. Bei der PR, so Entspannungsexperte Dietmar Ohm, geht es um den Moment, den Prozess und die Fähigkeit loszulassen. „Viele Menschen wollen zu viel”, erklärt der Psychologe. „Aber es ist wie beim Sport: Es bringt nichts, einmal im Jahr wie ein Berserker zu trainieren. Besser – und gesünder – ist mäßiges, aber regelmäßiges Training.”

Für den Einstieg in die PR empfiehlt sich ein Kurs. „Unter Anleitung eines qualifizierten Kursleiters – also am besten ein Diplom-Psychologe oder Arzt mit entsprechender Zusatzqualifikation – fällt das Loslassen leichter“, zeigt Dietmar Ohms Erfahrung. Später sind auch Bücher und CDs eine gute Alternative. Die Übungen können im Sitzen und Stehen ausgeführt werden – vor allem für den Arbeitsalltag im Büro eine praktikable Lösung. Für Anfänger ist oft Liegen eine angenehme Ausgangsposition. In jedem Fall ist es wichtig, sich ein angenehmes Umfeld zu schaffen: Manche Menschen fühlen sich in kühlen, andere in sehr warmen Räumen am wohlsten. Hinderlich sind kratzende Pullis und kneifende Hosen. Um das Erspüren des Körpers zu erleichtern, hilft es, die Augen während der Übungen zu schließen.

Ruhig mit den eigenen Gedanken umzugehen, ist das langfristige Ziel der PR. Einsteiger sollten aber nicht erwarten, ihre Empfindungen schon nach ein paar Sitzungen komplett kontrollieren zu können, mahnt Ohm. „Es gibt keinen Ausschaltknopf für Gedanken. Sie haben eine Eigendynamik. Auch hier ist wieder Gelassenheit der Schlüssel. Zu wissen, dass Gedanken kommen, aber auch wieder gehen. Das zulassen und akzeptieren zu können, ist eine gute Basis für Entspannung.”

Fazit: Die Progressive Relaxation ist goldrichtig für Stressgeplagte, die nach einem Entspannungstraining suchen, das sich zu jeder Zeit und an jedem Ort anwenden lässt.

Weitere Informationen:

Allgemeine Infos über die Progressive Relaxation sowie nützliche Literaturtipps und Links zum Thema:

www.dg-e.de

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