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In virtuelle Welten eintauchen – das kannten bisher nur Fans von Computerspielen oder Onlinecommunitys wie Second Life. Jetzt wagt sich auch die Psychologie in den Cyberspace. Computergenerierte 3D-Animationen sollen helfen, Angststörungen zu heilen.

Wem Höhen, Fliegen oder Autofahren den Angstschweiß auf die Stirn treibt oder wer beim Anblick von Spinnen in Panik ausbricht, musste in punkto Lebensqualität bislang Abstriche machen. Inzwischen ist die Forschung einen Schritt weiter: In Deutschland behandeln zwei Universitätskliniken Angstpatienten in der virtuellen Realität. Ans Universitätsklinikum Münster können sich Menschen mit Spinnen-, Höhen- oder Autofahr-Phobien wenden. Eine weitere Anlaufstelle für Panik bei Spinnen, aber auch Flugangst, ist der Lehrstuhl für biologische und klinische Psychologie sowie Psychotherapie in Würzburg.

Die Vorteile des 3D-Verfahrens liegen Johanna Brütting zufolge auf der Hand: „Bei der Therapie in der virtuellen Realität werden die Patienten in einer sicheren Umgebung mit ihrer Angst konfrontiert. Das ermöglicht ihnen, alle eingeübten Sicherheitsstrategien aufzugeben und die Angst zuzulassen“, erläutert die Würzburger Diplompsychologin.

Im Horrorszenario verharren und die Angst aushalten lernen

Die Verhaltenstherapie arbeitet mit dem so genannten Expositionsverfahren. Phobiker begeben sich dabei bewusst in die Angst auslösende Situation und verharren in ihr. Indem das befürchtete Horrorszenario ausbleibt, verliert die Angst an Schrecken und wird immer kleiner – Experten sprechen von einer Habituation der Angst.

Die virtuelle Therapie bietet neue Möglichkeiten für die Exposition. Die Patienten werden in einem Behandlungsstuhl platziert. Bei Patienten, die Angst vorm Fliegen oder Autofahren haben, ist der Sitz auf einer Bewegungsplattform montiert, um Turbulenzen oder Beschleunigung zu simulieren. Bei Angst vor Spinnen kann die gefürchtete Situation – zum Beispiel ihnen auf dem Weg in den Keller zu begegnen – auf zwei Arten dargestellt werden. Variante eins: Der Patient nimmt vor einem Monitor Platz, auf dem sein persönliches Horrorszenatio zu sehen ist. Nachteil dabei: die eingeschränkte Illusion. Zwar beherrscht der Bildschirm das Blickfeld, in den Augenwinkeln nehmen die Phobiker ihr Umfeld aber immer noch wahr. Das entschärft die Konfrontation und vermindert die Heilungschancen.

Besser funktioniert die Darstellung über ein so genanntes Head-Mounted Display (HMD), das die Patienten wie eine Brille aufsetzen. Sie sehen die am Computer erzeugten Bilder auf einem augennahen Bildschirm. Manche HMDs projizieren die Bilder auch direkt auf die Netzhaut. Dank der Befestigung am Kopf ist das visuelle Erlebnis des Trägers unabhängig von seinen Kopfbewegungen. So entsteht bei ihm das Gefühl, sich wirklich in der vom Computer erzeugten Bildlandschaft zu bewegen.

Jede Therapie wird individuell designt

„Bei der Behandlung von Ängsten ist es von Fall zu Fall anders, wie lange eine Therapie dauert“, sagt Johanna Brütting. Die Konfrontation mit der Angst in der virtuellen Realität sei auch nur ein Teil der Behandlung. Im Vorfeld müsse in Gesprächen zwischen Psychologe und Patient geklärt werden, wovor genau er Angst hat. „Bei Spinnenphobikern gibt es viele Varianten. Manche haben Angst vor Vogelspinnen, weil sie so groß und haarig sind. Andere fürchten sich vor Weberknechten, weil sie lange dünne Beine haben“, erzählt die Psychologin. Oft spiele es auch eine Rolle, wo im Raum sich die Spinne befindet. „Für viele ist es schlimmer, wenn sie an der Decke sitzt, denn von dort kann sie zusätzlich zu allem anderen herunterfallen.“

Vorgespräche und Fragebögen zur privaten und beruflichen Situation des Betroffenen bilden die Basis für den Therapieplan und den integrierten Ausflug in die virtuelle Welt. Den Angaben zu ihrer Angst entsprechend, zum Beispiel Panik beim Start des Flugzeugs, kann der behandelnde Psychologe das animierte Schreckensszenario passgenau programmieren.

Die Cybertherapie wirkt nicht immer

Nicht alle Patienten können sich auf die virtuelle Realität einlassen. „Manche Menschen können nicht ausblenden, dass das, was sie sehen, virtuell ist. Bei ihnen wird keine Angst freigesetzt“, erklärt Johanna Brütting. Das treffe auf circa ein Fünftel der von ihr behandelten Patienten zu. In solchen Fällen empfehle es sich, nach ausreichender Vorbereitung in der Realität zu üben, zum Beispiel mit echten Spinnen. Flugphobikern rät Brütting, die Therapie ein bis zwei Wochen vor einer anstehenden Flugreise zu machen, damit die eingeübten Strategien zeitnah umgesetzt werden können. In Würzburg wird die Flugangsttherapie als eintägiges Blockseminar angeboten. Kosten: maximal 300 Euro.

Die Behandlung von Phobien im Cyberspace ist innovativ, aber kein Wunderheilmittel. Das betont auch Johanna Brütting: „Die Therapie in der virtuellen Realität bereitet die Patienten vor. Wenn sie sie hinter sich haben, heißt das aber nicht, dass sie in der Realität nie wieder Angst empfinden. Die virtuelle Exposition ist ein Anfangspunkt für den Umgang mit der Phobie. Danach müssen die Patienten ein Leben lang dranbleiben und üben.“

Ein weiteres Manko: Bei manchen Patienten löst die virtuelle Therapie Cybersickness aus, eine mit der Kinetose vergleichbare Krankheit. Sie tritt auf, weil in der virtuellen Realität Bewegungen zu sehen sind, die der Körper in Wirklichkeit nicht mitmacht. Cybersickness äußert sich in Form von Schwindelgefühlen und Übelkeit.

Fazit: Sich seinen Ängsten in der virtuellen Realität zu nähern, kann dabei helfen, sie auch in der Realität zu überwinden.

Weitere Informationen:

Angst durch individuelles Training bewältigen – wie das funktioniert, erklären Wissenschaftler der Uni Würzburg:

www.psychologie.uni-wuerzburg.de

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